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Von Schlaufen, Kreisläufen und Boxen – Was uns im Spiel antreibt

Die kritische Beurteilung eines Spiels baut darauf, dass wir uns darüber im Klaren sind, was beim Spielen passiert. Wenn man nur testen möchte, ob ein Spiel Spaß macht oder nicht, dann ist ein umfassendes Verständnis eines Spiels zwar nicht störend, aber selten notwendig. Eine Kritik hingegen, muss Wirkung und Funktionsweise des Spiels begreifen, um ein Spiel zu bewerten.

Ich will versuchen hier einen möglichen Ansatz zu umreißen, ein Spiel in seine funktionalen Bestandteile herunterzubrechen. Beginnend mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner eines Spiels: der Interaktion. Diese basiert auf Feedbackschleifen. Das bedeutet, dass eine Aktion die ich als Spieler mache, zu einer Veränderung der Spielsituation führt. Diese Veränderung eröffnet mir neue Möglichkeiten durch mein Handeln Einfluß auf die Fortführung des Spielverlaufs zu nehmen. Mein Handeln hat Konsequenzen und diese münden in eine neue Situation, die mein Handeln ermöglicht bzw. erforderlich macht.

Als sehr einfacher Vergleich sei hier ein Tennisspiel genannt. Nachdem ich einen Aufschlag mache, spielt mir mein Gegenüber den Ball zurück. So geht das Hin und Her bis jemand den Ball nicht regelkonform zurückgeben kann.

Wenn wir Tennis auf einem ausreichend hohen Niveau beherrschen, lautet meine Aufgabe nicht mehr den Ball überhaupt nach den Regeln zurückzuspielen. Stattdessen versuche ich es so zu tun, dass mein Gegenüber große Schwierigkeiten hat darauf zu antworten.

Dieser Tennisvergleich veranschaulicht aber auch einen zweiten Punkt: ist die Feedbackschlaufe zu kurz bzw. muss sie zu oft neu begonnen werden, ist das Spielerlebnis unbefriedigend. Geht der Ball nur ein oder zwei mal über das Netz, bevor man ihn holen gehen muss, kommt nur wenig Spielfreude auf.

Dafür muss sich das Hin und Zurück aufbauen können. Das ist uns möglich, wenn wir mehr oder weniger mühelos den Ball über den Platz jagen können. In „The Well-Played Game“ nutzt DeKoven den Vergleich zu Tennis um vom Spielerlebnis in seiner Reinform zu sprechen. Unter Brettspieler*innen wird dafür oft der Begriff „flow“ und gelegentlich auch Immersion genutzt. Im Kern wird meiner Meinung nach das gleiche Phänomen umschrieben. Es ist der Moment, in dem wir in das Spiel eintauchen und im Spielakt selbst aufgehen. Oft geht damit eine paradoxe Form der Konzentration einher, die fordernd aber auch berauschend ist.

Dieses Erlebnis ist aber keine zwingende Folge einer Feedbackschlaufe. Um aus der sich wiederholenden Interaktion Spielspaß entstehen zu lassen, muss die Interaktion um einen „reward cycle“ (ein Belohnungssystem) erweitert werden. Das bedeutet, dass unsere Spielhandlungen eine Form der Belohnung mit sich bringen, die uns motiviert weiter zu spielen. Diese Belohnung kann von Spiel zu Spiel sehr unterschiedlich ausfallen. Aber sie wird meist unter dem Begriff Spielreiz zusammengefasst.

Interessant wird die Sache jedoch, wenn wir an diesem Punkt anfangen genauer hinzuschauen. Denn der reward cycle eines Spiels kann auf sehr vielen Ebenen hervortreten. Da gibt es zum einen die formalisierte Form der Belohnung: Siegpunkte bzw. die Annäherung an den Spielsieg. Im Kern handelt es sich dabei um einen Weg den Wettbewerbstrieb in Zahlenform festzuhalten und so auswertbar zu machen. Wer die meisten Siegpunkte anreichert, wollte den Sieg einfach viel mehr als die Gegenseite und besaß die Fähigkeiten das auch zu beweisen.

Belohnungen (Sinnbild)
Ich halte es jedoch für riskant reward cycles und Siegpunkte als enge Verwandte zu sehen. Es stimmt, dass sich unsere Spielentscheidungen oft danach ausrichten, welche Aktion uns mehr Siegpunkte einbringt. Aber es ist genauso zutreffend, dass die meisten Spieler*innen die positive Bestätigung am Spielgeschehen nicht daraus speisen, Siegpunkte zu sammeln. Siegpunkte sind nicht immer die einzige Entscheidungsgrundlage für unser Handeln.

Darum ist eine Interpretation des Spielthemas an Hand der Analyse der Siegpunktquellen unzureichend und oberflächlich. Die Beurteilung des Geschehens fälle ich an Hand der Emotionen, die ich beim Spielen erlebe und nicht an der formalen Belohnung, die mir das Spielsystem gibt. Ich müsste gänzlich neutral und ohne eigene Ansichten an ein Spiel treten, damit man plausibel annehmen könnte, dass ich das Thema allein danach bewerte welche Aktion mir Siegpunkte gibt und welche nicht. Ich müsste also die Spielregeln als formalisierte Ethik unserer gemeinsamen Spielfiktion verstehen und unreflektiert verinnerlichen. Nur wenn ich keine eigene moralische Position zu den thematischen Inhalten des Spiel halte, wäre es möglich die Siegpunktvergabe des Spiels zur inhaltlichen Aussage des Spiels über sein Thema zu deuten.

In der Praxis jedoch, benötigt es einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Spiel um die erlebte Belohnungsstruktur des Spielerlebnis zu benennen. Oder anders gesagt: man muss über das Erlebte nachdenken, um sagen zu können was daran Spaß gemacht hat.

Wenn ich meine eigenen positiven Spielerlebnisse Revue passieren lasse, stelle ich fest, dass sie sich nicht immer auf das übertragen lassen, was das Regeldesign mir mit seinen Siegpunkten vorgibt. Das erkenne ich am Deutlichsten an spielen, die viele Gespräche zwischen den Spieler*innen einfordern. Das sind etwa „social deduction“-Spiele wie Der Widerstand, Insider oder Werwolf; oder auch Verhandlungsspiele wie Chinatown, Bohnanza oder Pandemie.

In jedem dieser Spiele ist die formale Belohnungsstruktur lediglich der äußere Rahmen für die eigentliche Interaktion, die den Spielspaß ausmacht. Es ist der Spielakt selbst, den ich als erfüllend und belohnend empfinde. Schaue ich mir komplexere Spiele an, so sind es die Aufgaben selbst, die mich anspornen. Die errungenen Siegpunkte sind dabei lediglich die formale Bestätigung, für das was ich im Spiel als befriedigende Aktivität empfunden habe. Das Knobeln, Konzentrieren und sich an einer Herausforderung Abarbeiten ist erfüllend und befriedigend. (Von daher wundert es auch nicht, wenn viele Spieler*innen, die ein solches Spielerlebnis für sich entdecken nach immer anspruchsvolleren und komplexeren Herausforderungen suchen an denen sie sich reiben können.)

In manchen Kreisen macht sich darum auch die Überzeugung breit, dass es sich bei Spielen in gewisser Weise um eine Art Skinner-Box handelt: ein Versuchsaufbau der positives Feedback nutzt, um das Verhalten von Versuchstieren zu beobachten. Die Argumentation lautet, dass Spieler*innen durch die positive Feedbackschlaufe des Spiels auf bestimmte Verhaltensweisen konditioniert werden. Das Spiel macht uns Spaß, wenn wir innerhalb des Spiels bestimmte Dinge tun. Also führen wir wiederholt diese Dinge aus, um Spaß zu haben.

Auf den ersten Blick scheint dieser Vergleich plausibel. Schließlich ist positive Bestätigung (und in manchen Fällen auch negatives Feedback) ein wichtiger Teil, um über unser Verhalten zu entscheiden. Menschen, die gänzlich abgekoppelt von äußeren Urteilen handeln, werden schnell als Soziopathen gesehen. Aber der Grund weshalb ich den Vergleich zur Skinner-Box nicht teile, ist eng mit den Gründen verwandt, weshalb ich die Siegpunktverteilung bei Spielen nicht mit der ethischen Bewertung der Spielfiktion gleichsetze.

Als Spieler*innen erleben wir das Spiel nicht passiv. Es wirkt nicht wie ein Buch oder Film auf uns, sondern wird von uns aktiv umgesetzt, in einen realen Kontext platziert und entsprechend unserer persönlichen Überzeugungen bewertet. Das gilt nicht nur für die thematischen Inhalte des Spiels, sondern auch für seine mechanischen Anreize und – vielleicht noch viel wichtiger – für die Aspekte des Spiels, die wir als belohnend empfinden.
Eine Kritik, die mehr zu beantworten versucht als die Frage, ob man mit dem Spiel Spaß hat oder nicht, muss auch das Zusammenspiel zwischen Spieler*innen und Design in Betracht ziehen. Eine Beurteilung von Inhalten kann nicht die Augen davor verschließen wie wir Inhalte wahrnehmen, annehmen und – vielleicht am wichtigsten – mit welchen Emotionen wir sie verbinden.

Georgios Panagiotidis
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