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Das wettstreitende Miteinander im Spiel

Vor einigen Tagen schwirrte mir eine Frage im Kopf herum, die ich nicht so einfach beantworten konnte. Also wandte ich mich an die Weisen des Internets (in diesem Fall Mastodon) und teilte sie der Öffentlichkeit mit:

Lässt sich kompetitives Spielen mit Empathie vereinbaren?

Wenn ja, wie sieht das aus?
Wenn nein, was bringt uns das bei?

Es war sehr interessant zu sehen, welche Antworten ich daraufhin erhielt.

Diese gingen nämlich eine andere Frage ein: „Kann ich gegeneinander spielen und mich trotzdem mit der anderen Person gut verstehen?“ Das war natürlich weit einfacher zu beantworten und hätte mich auch nicht wirklich beschäftigt. Selbstverständlich kann man Menschen freundlich und auch freundschaftlich gegenüber eingestellt sein, während man gegen sie in einem Spiel antritt. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass es für viele Spielgruppen eine zwingende Voraussetzung ist. Wenn man sich nicht im Vorhinein freundschaftlich zu einander verhält, dann macht es auch wenig Sinn gemeinsam zu spielen. Das schien mir derart offensichtlich, dass es mir nicht in den Sinn kam, dass meine Frage so verstanden werden würde.

Denn mir ging es allein um die spielerische Interaktion an sich. Ich habe mich gefragt, ob man Empathie praktizieren konnte und gleichzeitig gegeneinander spielen.

Einige Antworten nahmen sich dem Begriff Empathie an und definierten ihn stark rational und pragmatisch. Statt Empathie mit Gefühlen zu verbinden, wurde Empathie als die Fähigkeit verstanden das Verhalten einer anderen Person zu verstehen und nachzuvollziehen. Empathisch zu sein erlaubte es uns das Verhalten einer anderen Person zu antizipieren, da wir ihre Beweggründe begreifen konnten. Unter diesem Gesichtspunkt ließ sich Empathie problemlos mit kompetitivem Spiel kombinieren. Sie stellt sogar ein wichtiges Werkzeug in unserem Arsenal dar, um den Sieg noch effektiver und eindeutiger zu holen. Allerdings räumte einer der Antwortenden auch ein, dass dieses Verstehen einer anderen Person eine notwendige Vorstufe der Empathie ist, aber noch nicht mit Empathie gleichzusetzen ist. Denn das würde bedeuten, dass jede Person Empathie zeigt, wenn sie in der Lage ist andere Menschen geschickt zu manipulieren, da sie ihre Verhaltensmuster erkennen und weiterdenken kann.

Im Laufe des Online-Austausches bemerkte ich jedoch, dass sich meine eigene Ansicht zu dieser Frage immer stärker festigte. Ich kam zu dem Schluss, dass sich Empathie und kompetitives Spiel nicht miteinander vereinbaren ließen. Sowohl Wettbewerb als auch Empathie waren zwei gegensätzliche Ansätze wie wir andere Menschen wahrnehmen und damit auch wie wir uns ihnen gegenüber verhalten.

Das Ziel des kompetitiven Spiels und damit auch des Wettbewerbs ist das Etablieren einer Hierarchie zwischen den Spielenden (vgl. Orthogame). Das bedeutet das Spiel muss damit enden, dass zwischen den Spieler*innen eine Art der Wertung und Sortierung stattfindet. Manche Spieler*innen werden am Ende besser gespielt haben und damit gewonnen, während andere unterliegen. Die besseren Spieler*innen stehen damit in ihrem Können über den anderen. Sei es auf Grund der besseren Entscheidungen, präziseren Analyse der Spielsituation oder auch nur weil sie im richtigen Moment etwas Glück hatten. Um kompetitiv zu spielen, muss man die Hierarchisierung der Spieler*innen nicht nur akzeptieren, sondern sie auch aktiv herbeiführen wollen. Man muss „besser als die anderen“ sein wollen.

Im Gegensatz dazu benötigt Empathie mehr als nur Vergleichbarkeit zwischen Personen, sondern drückt eine umfassendere Gleichheit aus. Empathie ist das Gefühl, dass man sich in einer anderen Person wiedererkennt. Wir fühlen mit einer anderen Person, weil wir sie als denkendes, empfindendes Wesen sehen, so wie wir uns selbst als denkende, empfindende Wesen verstehen. Es ist kein Zufall, dass Animationsfilme (speziell solche für Kinder) Tieren und Gegenständen menschliche Züge verleihen, damit das Publikum diese auch wie Menschen bzw. sie sich selbst wahrnimmt. Auch die Umkehrung dahingehend scheint zu greifen. Je weiter sich das Verhalten einer Figur von dem entfernt, was wir als menschlich (d.h. wie wir selbst) erkennen, umso weniger sind wir in der Lage mit der Figur mitzufühlen.

Uns ist der Clownfisch-Vater Marlin aus Findet Nemo sehr viel näher als es Michael Myers aus Halloween ist.

Würden wir also ein Spiel spielen, in dem wir unser Gegenüber als gleichwertig zu uns selbst verstehen und auch deren Emotionen spiegeln, d.h. selbst empfinden, geraten wir in einen inneren Konflikt. Wir können nicht gleichzeitig wider der Interessen dieser Person handeln und dabei empathisch mit dieser Person mitfühlen. Das hat zur Folge, dass ein kompetitives Spielen in dem wir zielgerichtet und effektiv spielen wollen dazu führt, dass wir die Empathie unseren Mitspieler*innen wahlweise unterdrücken, ignorieren oder gänzlich ausschalten müssen. Wir müssen ohne Empathie spielen, wenn wir uns über die anderen hinwegsetzen wollen.

Vorfahrten und Abkürzungen werden anderen hier nicht „gegönnt“

Die Beantwortung meiner ursprünglichen Frage finde ich darum auch nicht mehr ganz so interessant. Was uns Spiele lehren, in denen wir routinemäßig unsere Empathie-Reflexe aussetzen, können gerne andere beantworten. Aber wenn das eine maßgebliche Eigenschaft von kompetitiven Spielen ist, liegt es dann nicht nahe, dass einige Spieler*innen genau deshalb kompetitive Spiele schätzen und spielen?

Vielleicht findet der häufig herbeigerufene Begriff des Eskapismus hier tatsächlich seine Anwendung. Vielleicht drückt sich die Flucht ins Spiel nicht dadurch aus, dass wir in phantastische Welten abtauchen, ruhmreiche Machtpositionen bekleiden oder uns futurischen Herausforderungen stellen. Vielleicht befreit uns das kompetitive Spiel lediglich von der sozialen Verpflichtung anderen Menschen gegenüber mitfühlend, rücksichtsvoll und auch nachsichtig aufzutreten.

Innerhalb des genau umrissenen Rahmens des Spiels ist es erlaubt und vor allem nicht stigmatisiert, sich über die Befindlichkeiten anderer Menschen hinwegzusetzen. Um erfolgreich zu sein, ist es notwendig andere Menschen zwar zu verstehen, aber gleichzeitig die Auswirkungen unseres Verhaltens auf die Gefühlswelt anderer nicht näher zu beachten oder bedenken zu müssen. Im kompetitiven Spiel dürfen wir anderen etwas weg nehmen, es kaputt machen oder ihre Pläne vereiteln, ohne das wir uns dafür schlecht fühlen müssen. Wie viele Spiele sind nicht zuletzt deshalb so reizvoll, weil sie uns erlauben so richtig „gemein“ zu einander zu sein?

Das kompetitive Spiel ist unter diesem Gesichtspunkt ein sicherer, wertfreier Raum in dem egoistisches Verhalten praktiziert werden kann und muss. Gleichzeitig muss es weder reflektiert, gerechtfertigt oder entschuldigt werden. Wir schießen uns auf den eigenen Spielsieg (und den damit erwünschten Spielspaß) ein und müssen das niemandem gegenüber erklären. Das kompetitive Spiel gibt uns dafür die Erlaubnis.

Ob man dieses Spielbedürfnis diskutieren oder bewerten muss, weiß ich nicht. Ich bin mir aber recht sicher, dass es nicht schaden kann diese Dinge mal auszusprechen und sich vor Augen zu führen.

Georgios Panagiotidis
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